Curcumin und Alzheimer-Demenz

Die positiven Wirkungen vieler Stoffe wurden durch den regelmäßigen Verzehr von Nahrungsmitteln entdeckt. Dies gilt auch für die wichtige Heilpflanze Kurkuma, deren Wirkung in östlichen Ländern wie China und Indien seit mehr als 4.000 Jahren bekannt ist. Eine curcuminreiche Ernährung kann vielen Krankheiten, darunter Krebs und Diabetes, entgegenwirken. Das beruht auf den antioxidativen, entzündungshemmenden, antitumoralen, antiarthritischen, antiatherosklerotischen, antidepressiven, antidiabetischen, antimikrobiellen, Wundheilungs- und Gedächtnisstärkenden Wirkungen. In der traditionellen indischen Medizin wurde Kurkuma auch zur Behandlung von gynäkologischen Problemen, Magenbeschwerden, Lebererkrankungen, Infektionskrankheiten, Blutkrankheiten, Akne, Psoriasis, Dermatitis, Hautausschlag und anderen chronischen Erkrankungen verwendet. Curcumin wirkt chemopräventiv, chemosensibilisierend und radiosensibilisierend, und ist daher ein wichtiger Wirkstoff in der adjuvanten Krebstherapie. Als „multi-tasking“ Polyphenol wirkt Curcumin auf zahlreiche Moleküle (z. B. Transkriptionsfaktoren, Entzündungsmediatoren) und deren Signalwege, die mit verschiedenen chronischen Krankheiten in Verbindung stehen. In vielen neueren Studien wurde Curcumin als starker epigenetischer Regulator bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen, Entzündungen, Diabetes und manchen Krebsarten beschrieben. Die antiinflammatorische Wirkung ergibt sich durch die Hemmung verschiedener Zytokine wie TNF-α, IL-1, IL-6, IL-8, IL-12, sowie entzündungsfördernder Enzyme und Transkriptionsfaktoren. Curcumin wirkt zudem synergistisch mit anderen pflanzlichen Wirkstoffen wie Resveratrol, Piperin, Catechine, Quercetin und Genistein. Bisher wurden etwa 100 klinische Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit von Curcumin bei der Prävention und Behandlung verschiedener Erkrankungen durchgeführt. Das therapeutische Potenzial von Curcumin wird bisher leider zu wenig genutzt. Das liegt an der geringen oralen Bioverfügbarkeit, mit begrenzter Absorption, hohem Metabolismus und schneller systemischer Ausscheidung. Außerdem ist Curcumin schlecht wasserlöslich und wird bei oraler Verabreichung größtenteils mit den Fäkalien ausgeschieden. Verschiedene neue Formulierungen haben jedoch die Bioverfügbarkeit von Curcumin wesentlich verbessert. Die Wirkung einer Curcumin-Behandlung bei neurologischen Erkrankungen wie spinaler Muskelatrophie, Alzheimer-Krankheit, Parkinson-Krankheit, amyotropher Lateralsklerose, Multipler Sklerose und anderen ist Gegenstand intensiver Forschungen und auch vereinzelter klinischer Studien. Alzheimer-Demenz Die Gemeinsamkeit aller Demenzerkrankungen ist der Abbau der geistigen Fähigkeiten, wobei Ursachen und Verlauf unterschiedlich sind. Bei den meisten Demenzerkrankungen verschlechtern sich das Gedächtnis, die Sprach- und Denkfähigkeit sowie die Motorik. Bei einigen Krankheitsbildern sind auch das Sozialverhalten und die Persönlichkeit betroffen. Die Alzheimer-Demenz ist die am weitesten verbreitete neurodegenerative Erkrankung, die für 60 bis 80 % der Demenzfälle verantwortlich ist. Im Jahr 2015 waren schätzungsweise 46,8 Millionen Menschen weltweit betroffen, fast 30 % mehr (9,9 Millionen neue Fälle) als bei der Schätzung von 2010. Es wird erwartet, dass bis 2030 74,7 Millionen Menschen und bis 2050 131,5 Millionen Menschen betroffen sein werden. Jährlich erkranken mehr als 35 Millionen Menschen. Bislang sind die therapeutischen Ansätze lediglich symptomatisch und können Gedächtnis und kognitive Funktionen verbessern. Die verwendeten Therapien zielen auf die Verbesserung der cholinergen Übertragung durch die Hemmung von Acetylcholin (ACh) ab. Zu den vermuteten Ursachen der Erkrankung gehören: Genetische Risikofaktoren bzw. Vererbung Reduzierte Beseitigung von Abfallstoffen aus dem Gehirn Entzündliche Prozesse oder Infektion Prionen Risikofaktoren Cholesterin, Trauma, Diabetes und Bluthochdruck Aluminium Feinstaub Geistige Verarmung Im Gehirn von Alzheimer-Patienten bilden sich Plaques und Ablagerungen, wobei die Proteinablagerungen im Wesentlichen aus dem Beta-Amyloid-Peptid bestehen. Zudem kommt es zu Veränderungen an dem Tau-Protein der intrazellulär gelegenen Neurofibrillenbündel. Es ist jedoch ungeklärt, ob diese Tau-Veränderung krankheitsauslösend oder sekundärer Natur ist. Im weiteren Verlauf der Erkrankung nimmt die Hirnmasse durch das Absterben von Neuronen vermehrt ab, es kommt zur Hirnatrophie. Der Botenstoff Acetylcholin wird nicht mehr in ausreichenden Mengen produziert, was zu einer allgemeinen Leistungsschwächung des Gehirns führt. Im fortgeschrittenen Stadium verlernen die Patienten ihre Fertigkeiten. Nahestehende Personen und alltägliche Gegenstände werden nicht mehr erkannt. Es kann zu scheinbar unbegründeten Wut- und Gewaltausbrüchen kommen. Curcumin hemmt den Beta-Amyloid-Spiegel, verringert den Grad der Aggregation verringert und fördert die Auflösung von fibrillärem Beta-Amyloid 40. Bei neurologischen Erkrankungen kommt es zur Mikroglia-Aktivierung. In Zellversuchen wurde nachgewiesen, dass Beta-Amyloid die Mikroglia aus dem neuroprotektiven Phänotyp in den neurotoxischen Phänotyp überführt. Da während der Beta-Amyloid-Akkumulation die Mikroglia und die Entzündungsmediatoren aktiviert werden, wird die weitere Beta-Amyloid-Akkumulation und Neuroinflammation induziert. Curcumin blockiert die extrazelluläre signalregulierte Kinase 2 (ERK1/2) und die p38-Kinase-Signalübertragung in Beta-Amyloid-aktivierten Mikroglia in vitro, wodurch die Synthese von IL1β, Tumor-Nekrosefaktor-α (TNFα), IL6 mRNAs und Proteinen reduziert wird. Im Tierversuch führte die Curcumin-Behandlung zu einer Unterdrückung der neuroinflammatorischen Reaktion, indem sie die Spiegel von e IL1β, TNFα, Cyclooxygenase (COX)2 und Stickstoffmonoxid (NO) senkte. In verschiedenen klinischen Studien wurde die Wirkung von Curcumin bei der Alzheimer-Krankheit untersucht. Eine der ersten Studien zur Bewertung der Wirkung von Curcumin bei Alzheimer-Patienten wurde im Jahr 2004 begonnen. Es handelte sich um eine Pilotstudie (Phase 1), in der die Wirkung von Curcumin in den besser absorbierten Formulierungen als Pulver oder Kapsel getestet wurde. Da die Studie nur für einen kurzen Zeitraum durchgeführt wurde und die mit Placebo behandelten Patienten keinen kognitiven Verlust zeigten, war die Wirkung von Curcumin auf die Kognition nicht eindeutig, obwohl der Beta-Amyloid-Aggregation erfolgreich entgegengewirkt wurde. NCT03085680 ist eine Phase 2/3-Studie, in der untersucht wird, ob die Einnahme von Curcumin als Nahrungsergänzungsmittel (1.000 mg/Tag) die körperliche und kognitive Aktivität bei älteren Menschen aufrechterhalten oder verbessern kann; molekulare Entzündungs-Biomarker wurden auch analysiert. Nachdem die orale Verabreichung von festen-flüssigen Curcuminpartikeln in Tiermodellen der Alzheimer-Krankheit eine signifikante Verbesserung des Gedächtnisdefizits bewirkte, wurde in einer Phase 2-Studie (NCT01001637) die potenzielle Wirksamkeit und Sicherheit dieser Verabreichung als Nahrungsergänzungsmittel untersucht. Es sollte festgestellt werden, ob es bei Alzheimer-Patienten zu einer Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit kommt und ob sich die Beta-Amyloid-Konzentration im Blut nach dieser Behandlung verändert. Obwohl der voraussichtliche Termin für den Abschluss dieser Studie November 2010 war, liegen noch keine Ergebnisse liegen vor. Quellen 1. Baum, L. et al. Curcumin effects on blood lipid profile in a 6-month human study. Pharmacological Research 56, 509–514 (2007). 2. Baum, L. et al. Six-month randomized, placebo-controlled, double-blind, pilot clinical trial of curcumin in patients with Alzheimer disease [7]. Journal of Clinical Psychopharmacology 28, 110–113 (2008). 3. Liu, Z.-J. et al. Curcumin Attenuates Beta-Amyloid-Induced Neuroinflammation via Activation of Peroxisome Proliferator-Activated Receptor-Gamma Function in a Rat Model of Alzheimer’s Disease. Front Pharmacol 7, 261 (2016). 4. dos Santos Picanco, L. C. et al. Alzheimer’s Disease: A Review from the Pathophysiology to Diagnosis, New Perspectives for Pharmacological Treatment. Current Medicinal Chemistry 25, 3141–3159 (2016). 5. Reddy, P. H. et al. Protective effects of Indian spice curcumin…

Schizophrenie: Gluten-Sensitivität, Entzündungsmarker und Darmbarriere

Selbst nach mehr als 100 Jahren Schizophrenie-Forschung ist die Pathogenese der Krankheit immer noch nicht vollständig geklärt. Dies ist auf die Heterogenität der Pathogenese und des klinischen Verlaufs zurückzuführen. Die Entstehung beruht wahrscheinlich auf dem Zusammenspiel von genetischen und umweltbedingten Faktoren, die zu neurochemischen, neurostrukturellen und neurofunktionalen Veränderungen im Gehirn führen. Auch heute noch gibt es viele verschiedene Theorien und Hypothesen zu den Ursachen der Erkrankung. 1992 stellte Smith die Makrophagen-(Zytokin-)Theorie der Schizophrenie vor, wonach die Störung auf immun-entzündlichen Reaktionen beruht. Dieser Wissenschaftler sah bereits vor 30 Jahren den Gastrointestinaltrakt als den Bereich an, in dem nach den Ursachen der Immunaktivierung gesucht werden sollte. Immer mehr Belege, sowohl aus präklinischen wie auch klinischen Studien, bestätigen die Gültigkeit von Smiths´ Theorie. Sie alle wiesen erhöhte Spiegel der pro-inflammatorischen Zytokine Interleukin-1β (IL-1β), Interleukin-6 (IL-6), Interleukin-10 (IL-10) und Tumor-Nekrose-Faktor α (TNF-α) nach. Die Darm-Mikrobiota-Gehirn-Achse, die eine bidirektionale Kommunikation zwischen dem Gastrointestinaltrakt und dem Gehirn vermittelt, spielt eine wichtige Rolle für die Entwicklung psychischer Störungen. Die Interaktionen erfolgen über endokrine, Stoffwechsel-, neuronale und Immunwege. Aus einer Störung des Gleichgewichts der Gehirn-Darm-Mikrobiota-Achse kann eine Störung der Integrität der Darmbarriere resultieren. Die Hyperpermeabilität des Darms bewirkt das Eindringen von Antigenen in den Blutkreislauf und die Aktivierung der immunentzündlichen Signalkaskade. Verschiedene Studien wiesen bei Schizophrenie-Patienten das Vorhandensein einer strukturellen Schädigung der Darmbarriere nach. Gluten, das Speicherprotein von Getreidearten wie Weizen und Gerste trägt zu dieser immun-entzündlichen Aktivierung im Lumen des Gastrointestinaltrakts bei. Bereits in den 1950er Jahren war der Zusammenhang zwischen dem Auftreten von jugendlicher Schizophrenie und Zöliakie bekannt. In den 1960er Jahren wurde nachgewiesen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Menge des verzehrten Getreides und dem Risiko für die Entwicklung von Schizophrenie. Weitere Studien der vergangenen Jahre fanden bei Patienten mit Schizophrenie eine höhere Prävalenz klinisch signifikanter Anti-Gluten Antikörpertiter (AGA IgA und AGA IgG) im Vergleich zu gesunden Personen. Dieser Zusammenhang scheint auch durch die klinischen Fälle bestätigt zu werden, die eine teilweise oder vollständige Remission der Schizophreniesymptome nach einer glutenfreien Diät beschreiben, sowie die Ergebnisse der ersten randomisierten, klinischen Doppelblindstudie. Das Ziel einer neuen Studie bestand darin, die Unterschiede in den Konzentrationen von Markern zu bestimmen, die mit der Bildung von IgG- und IgA-Antikörpern gegen Gliadin, Inflammation und Integrität der Darmwand einhergehen. Dazu wurden Patienten mit der ersten Schizophrenie-Episode (1S), chronische Schizophreniepatienten (CS) und gesunden Personen (G) untersucht, um mögliche Zusammenhänge zwischen Entzündung, Glutensensitivität und Darmdurchlässigkeit herzustellen. Die gesamte Patienten-Stichprobe umfasste 162 Personen (52 1S, 50 CS und 60 G). Untersucht und verglichen wurde die Beurteilung der Ernährung und die Serumkonzentrationen von hochempfindlichem C-reaktivem Protein (hs-CRP), Interleukin-6 (IL-6), lösliches CD14 (sCD14), Anti-Saccharomyces cerevisiae-Antikörper (ASCA), Antigliadin-Antikörper (AGA) IgA/IgG, Antikörper gegen Gewebetransglutaminase 2 (anti-tTG) IgA, Anti-deamidierte Gliadinpeptide (Anti-DGP) IgG. Die Ergebnisse zeigten einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen bezüglich der Spiegel von sCD14, ASCA, hs-CRP, IL-6 und AGA-IgA. Die AGA-IgG/IgA-Werte waren sowohl in der 1S-Gruppe höher (11,54 %; 30,77 %), als auch in der CS-Gruppe (26 %; 20 %), im Vergleich zu den gesunden Probanden. Der Zusammenhang zwischen intestinaler Permeabilität und Entzündung wurde nur bei schizophrenen Patienten festgestellt. Ein klarer Zusammenhang wurde nachgewiesen für das Risiko einer Schizophrenie bei positivem AGA IgG. Entzündungen und Überempfindlichkeitsreaktionen auf Nahrungsmittel die durch eine erhöhte intestinale Permeabilität ausgelöst werden, können zur Pathophysiologie der Schizophrenie beitragen. Die Autoren kommen durch die Ergebnisse ihrer Studie zu folgenden Schlussfolgerungen: Die Studie zeigt Unterschiede bei Markern für die Durchlässigkeit des Darms, Entzündungen und Glutensensitivität zwischen Schizophreniepatienten und gesunden Personen auf. Der Zusammenhang zwischen Entzündung, Darmparametern und Glutensensitivität nur bei Schizophrenie-Patienten deutet auf eine mögliche Störung der Darm-Mikrobiota-Hirn-Achse bei dieser Erkrankung. Die bei Schizophreniepatienten festgestellte Immunreaktion auf Gluten hängt von der Phase und Dauer der Erkrankung ab. Quellen 1. Skonieczna-Żydecka, K. et al. Second-generation antipsychotics and metabolism alterations: a systematic review of the role of the gut microbiome. Psychopharmacology (Berl) 236, 1491–1512 (2019). 2. McLean, R. T., Wilson, P., Clair, D. S., Mustard, C. J. & Wei, J. Differential antibody responses to gliadin-derived indigestible peptides in patients with schizophrenia. Translational Psychiatry 7, (2017). 3. Lionetti, E. et al. Gluten psychosis: Confirmation of a new clinical entity. Nutrients 7, 5532–5539 (2015). 4. Dale, H. F., Biesiekierski, J. R. & Lied, G. A. Non-coeliac gluten sensitivity and the spectrum of gluten-related disorders: an updated overview. Nutrition Research Reviews 32, 28–37 (2019). 5. Cryan, J. F. et al. The microbiota-gut-brain axis. Physiological Reviews 99, 1877–2013 (2019). 6. Kelly, D. L. et al. Randomized controlled trial of a gluten-free diet in patients with schizophrenia positive for antigliadin antibodies (AGA IgG): A pilot feasibility study. Journal of Psychiatry and Neuroscience 44, 269–276 (2019). 7. Sandler, N. G. et al. Plasma levels of soluble CD14 independently predict mortality in HIV infection. Journal of Infectious Diseases 203, 780–790 (2011). 8. Maes, M., Sirivichayakul, S., Kanchanatawan, B. & Vodjani, A. Breakdown of the Paracellular Tight and Adherens Junctions in the Gut and Blood Brain Barrier and Damage to the Vascular Barrier in Patients with Deficit Schizophrenia. Neurotoxicity Research 36, 306–322 (2019). 9. Lesh, T. A. et al. Cytokine alterations in first-episode schizophrenia and bipolar disorder: Relationships to brain structure and symptoms. Journal of Neuroinflammation 15, (2018). 10. Severance, E. G. et al. IgG dynamics of dietary antigens point to cerebrospinal fluid barrier or flow dysfunction in first-episode schizophrenia. Brain, Behavior, and Immunity 44, 148–158 (2015). 11. Slyepchenko, A. et al. Gut Microbiota, Bacterial Translocation, and Interactions with Diet: Pathophysiological Links between Major Depressive Disorder and Non-Communicable Medical Comorbidities. Psychotherapy and Psychosomatics 86, 31–46 (2016). 12. Wysokiński, A., Margulska, A., Strzelecki, D. & Kłoszewska, I. Levels of C-reactive protein (CRP) in patients with schizophrenia, unipolar depression and bipolar disorder. Nordic Journal of Psychiatry 69, 346–353 (2015). 13. Maes, M., Kanchanatawan, B., Sirivichayakul, S. & Carvalho, A. F. In Schizophrenia, Increased Plasma IgM/IgA Responses to Gut Commensal Bacteria Are Associated with Negative Symptoms, Neurocognitive Impairments, and the Deficit Phenotype. Neurotoxicity Research 35, 684–698 (2019). 14. Cascella, N. G. et al. Prevalence of celiac disease and gluten sensitivity in the United States clinical antipsychotic trials of intervention effectiveness study population. Schizophrenia Bulletin 37, 94–100 (2011).…

Multiple Sklerose und IgG-Antikörper gegen Casein

Multiple Sklerose ist eine chronische demyelinisierende Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, bei der sowohl im Gehirn als auch im Rückenmark chronische Entzündungen auftreten. Durch diese Entzündungen entstehen Nervenschäden, die Lähmungen, Müdigkeit oder auch Sehschäden verursachen können. Die Ursache dieser Krankheit ist nicht bekannt, aber man geht mittlerweile davon aus, dass das Epstein-Barr-Virus (EBV) ein möglicher Verursacher ist. Anhand der Daten von Millionen von US-Militärrekruten, die über einen Zeitraum von 20 Jahren beobachtet wurden, stellte man fest, dass eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus das Risiko, später an Multipler Sklerose zu erkranken, stark erhöht ist und der Entwicklung der Krankheit vorausgeht, was seine potenzielle Rolle bei der Pathogenese der Multiplen Sklerose untermauert. Experten schätzen allerdings, dass sich rund 95 % der europäischen Bevölkerung bis zum 30. Lebensjahr mit dem EBV infizieren und danach über ausreichend Antikörper gegen den Erreger verfügen. Daher müssen noch weitere Faktoren hinzukommen, damit die Krankheit ausbricht. So gibt es eine Vielzahl genetischer Veranlagungen, die das MS Risiko erhöhen. Dazu gehören der Vitamin D-Status, Rauchen und Übergewicht im Kindesalter. Auch die Ernährung spielt eine wichtige Rolle. Die Ernährungsimmunologie befasst sich mit dem Einfluss der Ernährung auf das Immunsystem. Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass lebensmittelspezifisches IgG an der Entstehung und dem Fortschreiten bestimmter Krankheiten beteiligt ist, wie z. B. entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarmsyndrom, Migräne und psychische Erkrankungen. In unseren Newslettern der vergangenen Jahre haben wir regelmäßig über diese Erkenntnisse berichtet. In verschiedenen Studien wurde eine hohe Prävalenz von IgG-Antikörpern gegen bestimmte Nahrungsmittelallergene bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen festgestellt. Dementsprechend können IgG-Antikörper einen Hinweis auf den Krankheitsstatus geben und als Richtschnur für Ernährungsempfehlungen für Patienten dienen. Außerdem hatten Migränepatienten mit positiven lebensmittelspezifischen IgG-Antikörpern schlechtere Migräne-, Angst- und gastrointestinale Symptome. Auch bei Patienten mit depressiven Störungen wurden signifikant höhere Serumraten an lebensmittelspezifischen IgG-Antigenen festgestellt. Die Symptome dieser und anderweitiger Krankheiten können durch lebensmittelspezifische IgG-basierte Ernährungsempfehlungen gelindert werden. Immunreaktionen gegen körpereigene Strukturen sind das Kennzeichen aller Autoimmunerkrankungen. IgG-Antikörper können mit Allergenen in Lebensmitteln einen Immunkomplex bilden und so (chronisch schleichende) Entzündungsreaktionen im Körper auslösen, die sich in verschiedenen Symptomen und Erkrankungen äußern. Solche „molekulare Mimikry“-basierte Nahrungsmittel-Immunreaktivität tritt auf, wenn ein Nahrungsmittelprotein (oder –peptid) eine Sequenz von Aminosäuren aufweist, die der Struktur des eigenen Gewebes stark ähnelt. T- und B-Zellen werden aktiviert und es kommt zur Produktion von Antikörpern, die sowohl mit den fremden Nahrungsmittelproteinen reagieren als auch mit körpereigenen Proteinen verschiedener Gewebearten. Das Hauptmerkmal der Multiplen Sklerose ist die Zerstörung der Hüllstrukturen neuronaler Axone durch das körpereigene Immunsystem. Diese Zerstörung nimmt im Krankheitsverlauf weiter zu. Bereits in den 1970er Jahren wurde der Milchkonsum als ein ätiologischer Faktor der MS vermutet. Man ging davon aus, dass ein Zusammenhang besteht zwischen hohem Milchkonsum in der Kindheit, gefolgt von einem starken oder plötzlichen Rückgang während des Wachstumsschubs in der Jugend, und dem späteren Auftreten von MS bei jungen Erwachsenen. Die MS-Raten sind erhöht in Bevölkerungsgruppen, in denen viel Kuhmilch konsumiert wird. Wie der Milchkonsum jedoch Autoimmunreaktionen auf ZNS-Antigene auslöst und zur Krankheitsentwicklung beitragen könnte, blieb bisher unklar. Dem Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG) wird eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Myelinscheide von Neuronen zugeordnet. Das Interesse für MOG liegt vor allem in seiner Rolle im Zusammenhang mit MS und anderen demyelinisierenden Erkrankungen. Diverse Studien zeigten einen Zusammenhang zwischen Antikörpern die gegen dieses Protein gerichtet sind und der Pathogenese der MS. In Tiermodellen konnte man nachweisen, dass gegen MOG gerichtete Antikörper die Fähigkeit besitzen, die Demyelinisierung auszulösen. Bereits vor 20 Jahren wurde nachgewiesen, dass bestimmte Bereiche des MOG-Proteins eine große Ähnlichkeit aufweisen mit Butyrophilin (BTN), einem Milchprotein. In Tierversuchen wurde gezeigt, dass es zu Kreuzreaktionen kommen kann zwischen bestimmten MOG-Antikörpern und dem Kuhmilchprotein BTN. Doch BTN ist nicht das einzige immunologisch relevante Protein. Kuhmilch enthält insgesamt 3,2 % Protein, das zu ca. 80 % aus Caseinen besteht. Casein ist eines der Hauptallergene der Milch. In einer neuen Studie, mit Beteiligung der Universität Bonn wurde nachgewiesen, dass eine Immunreaktion gegen Casein die demyelinisierende Pathologie der MS aufgrund der Ähnlichkeit mit dem Myelin-assoziierten Glykoprotein (MAG) verschlimmern kann. MAG ist (wie MOG) für die Interaktionen des Axons mit den Myelinbildenden Zellen verantwortlich. Der Anstoß für die Studie kam von den MS-Patienten selbst: „Wir hören immer wieder von Betroffenen, dass es ihnen schlechter geht, wenn sie Milchprodukte zu sich nehmen“, erklärte Stefanie Kürten vom Anatomischen Institut des Universitätsklinikums Bonn. So sind die Wissenschaftler den Ursachen für diesen Zusammenhang nachgegangen. Die Studie ergab, dass die B-Zellen im Blut von Menschen mit MS besonders stark auf Casein reagieren. Vermutlich haben die Betroffenen irgendwann durch den Konsum von Milch eine Immunreaktion gegen Casein entwickelt. Sobald sie frische Milchprodukte zu sich nehmen, produziert das Immunsystem massenhaft Casein-Antikörper. Die mittleren IgG-Titer gegen Casein waren bei Patienten mit MS deutlich höher als bei Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen. Aufgrund der Kreuzreaktivität mit MAG kommt es so bei den MS-Patienten zur demyelinisierenden Schädigung der Myelinscheide um die Nervenfasern. MS-Patienten sollten daher auf den Verzehr von Milchprodukten verzichten. Es ist möglich, dass Kuhmilch auch bei gesunden Menschen das Risiko erhöht, an MS zu erkranken. Denn Casein kann auch bei ihnen Allergien auslösen – was wahrscheinlich nicht einmal so selten ist. Sobald eine solche Immunreaktion besteht, kann es theoretisch zu einer Kreuzreaktivität kommen. Das bedeute aber nicht, dass eine Überempfindlichkeit gegen Casein zwangsläufig zur Entwicklung von Multipler Sklerose führe, betonen die Bonner Wissenschaftler. Zusammengenommen zeigen diese Ergebnisse, wie der Konsum von Milch und Milchprodukten die Autoimmunreaktion bei MS verschlimmern kann. Quellen 1. Chunder, R. et al. Antibody cross-reactivity between casein and myelin-associated glycoprotein results in central nervous system demyelination. Proc Natl Acad Sci U S A 119, (2022). 2. Milk may exacerbate MS symptoms: Cow’s milk protein triggers autoimmune response in mice that damages neurons — ScienceDaily. https://www.sciencedaily.com/releases/2022/03/220301131110.htm. 3. Milk may exacerbate MS symptoms — University of Bonn. https://www.uni-bonn.de/en/news/042-2022. 4. Rojas, M. et al. Molecular mimicry and autoimmunity. J Autoimmun 95, 100–123 (2018). 5. Jarius, S. et al. MOG-IgG in primary and secondary chronic progressive multiple sclerosis: A multicenter study of 200 patients and review of the literature. Journal of Neuroinflammation 15, (2018). 6. Ramanathan, S., Dale, R. C. & Brilot, F. Anti-MOG antibody:…