Reizdarmsyndrom – Linderung durch Meidung IgG-reaktiver Lebensmittel

Das Reizdarmsyndrom (IBS) ist eine weit verbreitete komplexe klinische Erkrankung, die durch chronische Bauchschmerzen oder -beschwerden und veränderte Stuhlgewohnheiten gekennzeichnet ist, ohne dass strukturelle oder metabolische Anomalien vorliegen. Aufgrund der Symptome hat das Reizdarmsyndrom erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität, und es wird angenommen, dass etwa 12 % der Weltbevölkerung davon betroffen sind. Trotz der Prävalenz und der Krankheitslast sind die Pathophysiologie und alle zugrundeliegenden Mechanismen nach wie vor weitgehend unklar, was teilweise auf die multifaktorielle Ätiologie zurückzuführen ist. Es ist bekannt, dass genetische und umweltbedingte Faktoren bei der Entstehung des Reizdarmsyndroms eine Rolle spielen. Es mehren sich immer mehr Hinweise darauf, dass Immunität und Entzündung sowohl bei der Entstehung als auch beim Fortbestehen der Krankheit eine Schlüsselrolle spielen. Darüber hinaus wurde nachgewiesen, dass bei Patienten mit Reizdarmsyndrom eine veränderte systemische Immunreaktion mit der Freisetzung von entzündungsfördernden Zytokinen wie B-Zell-aktivierender Faktor (BAFF), Interleukin 1B (IL-1B), Tumornekrosefaktor alpha (TNF-ɑ), Interleukin 6 (IL-6) und Interleukin 8 (IL-8) aktiv ist. Mastzellen und ihre Mediatoren, wie der plättchenaktivierende Faktor (PAF), spielen in diesem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige Rolle, indem sie durch die Interaktion zwischen Immunkomplexen aus lebensmittelspezifischem IgG und der Komplementaktivierung die Degranulation und die Freisetzung chemischer Mediatoren auslösen. Einmal aktiviert, sind Mastzellen in der Lage, eine Vielzahl von Mediatoren freizusetzen, die die Erregbarkeit sowohl der intrinsischen enterischen Neuronen erhöhen, die die Motilität und Sekretion regulieren, als auch der afferenten extrinsischen Neuronen, die auch Schmerzsignale an das zentrale Nervensystem weiterleiten. Auf der Grundlage dieser Studien war es möglich zu verstehen, wie der wiederholte tägliche Verzehr bestimmter Lebensmittelgruppen auf individueller Basis den Anstieg einer chronischen, niedriggradigen Entzündung auslösen und dann auf direkte oder indirekte Weise die Entstehung oder Aufrechterhaltung chronischer Entzündungskrankheiten wie des Reizdarmsyndroms fördern kann. Es ist bekannt, dass Patienten mit Reizdarmsyndrom dazu neigen, veränderte Konzentrationen von lebensmittelspezifischem IgG zu haben. Durch die Messung der lebensmittelspezifischen IgG-Spiegel, deren Anstieg proportional zum Verzehr bestimmter Lebensmittel ist, können die persönlichen Essgewohnheiten und die Belastung durch Lebensmittelantigene bewertet werden. Ein personalisierte Ernährungsplan kann daraus abgeleitet werden, der darauf abzielt, diese Belastung auszugleichen und die systemische Entzündung zu verringern. In einer klinischen Studie mit 30 Reizdarm-Patienten wurde die kurzfristige Veränderung von BAFF, PAF und lebensmittelspezifischem IgG nach einem personalisierten Ernährungsansatz bestimmt. Gleichzeitig wurden die Reizdarm-Symptome anhand eines validierten Fragebogens erfasst und mit der Ernährungsumstellung in Verbindung gebracht. In diese Studie wurden 30 Patienten mit der Diagnose Reizdarmsyndrom eingeschlossen, deren Entzündungsmarker zu Beginn und nach einer sechswöchigen Ernährungsintervention gemessen wurden. Die Probanden wurden in einer ambulanten Allgemeinpraxis überwacht und eine Ernährungsberatung wurde über zwei Telefonsitzungen mit einer Ernährungsberaterin angeboten. Auf der Grundlage der lebensmittelspezifischen IgG-Messung wurde für jeden Probanden ein personalisiertes Lebensmittelprofil erstellt, in dem 1 bis 3 relevante Lebensmittelgruppen/ Nahrungscluster identifiziert wurden. Die Probanden wurden dann angewiesen, die in ihrem persönlichen Lebensmittelprofil hervorgehobenen Lebensmittel an bestimmten Tagen der Woche zu meiden und sie nur bei 7 der 21 Mahlzeiten der Woche (zwei volle Tage und eine weitere Mahlzeit nach Wahl) zu sich zu nehmen. Auf diese Weise wurde jeder Proband angewiesen, die (in seinen persönlichen Ergebnissen hervorgehobenen) Lebensmittelgruppen einzuschränken, die in seiner üblichen Ernährung häufiger konsumiert werden (z. B. Gluten, Milchprodukte,), was den Verzehr von Lebensmitteln aus verschiedenen Lebensmittelgruppen erzwingt und somit die Variabilität der Ernährung erhöht. Die Einhaltung dieses Planes, d. h. die Vermeidung der im persönlichen Profil aufgeführten Lebensmittelgruppen für mindestens einen ganzen Tag, war der entscheidende Faktor für die Verringerung der IBS-Symptome und des lebensmittelbedingten IgG. Bei der Ernährungsumstellung wurde keine Kalorienbeschränkung auferlegt. Alle Probanden beendeten den 6-wöchigen Studienzeitraum, aber nur 13 erreichten eine ausreichende Compliance mit der vorgeschlagenen Ernährungsumstellung. Bei den Probanden, die die Anforderungen erfüllten (Compliant, C), und denjenigen, die sie nicht erfüllten (Non-compliant, NC), gab es zu Studienbeginn keine signifikanten Unterschiede, so dass die Ergebnisse zwischen ihnen aufgeteilt werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuzeigen. In beiden Gruppen unterschied sich der BAFF-Wert zwischen dem Ausgangswert und dem Ende der Studie nicht: Auch bei den PAF-Werten gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen C- und NC-Patienten. Die nahrungsmittelspezifischen IgG-Werte sanken vor allem bei den Patienten mit guter Compliance (durchschnittliche Reduktion von 9,42 IU/mL) im Vergleich zu Patienten mit geringerer Therapietreue (durchschnittliche Reduktion von 7,77 IU/mL). Die Reizdarm-Symptomatik (Auswertung von Fragebögen) verringerte sich in beiden Gruppen signifikant: bei den C-Patienten von 245 auf 110 und bei den NC-Patienten von 250 auf 100. Ziel dieser Studie war es, die kurzfristige Veränderung von BAFF, PAF, nahrungsmittelspezifischem IgG und der Schwere der Symptome nach einem personalisierten Ernährungsansatz bei Reizdarmpatienten zu bestimmen. Die Ergebnisse zeigten die rasche Wirksamkeit eines individualisierten Ernährungskonzepts auf die Symptome des Reizdarmsyndroms und eine prompte Senkung der lebensmittelspezifischen IgG-Werte. Dies könnte auf eine breitere Anwendung dieses Ansatzes hindeuten, auch unter Einbeziehung der Fernberatung, die eine einzigartige Flexibilität und einen gezielteren Einsatz von Ressourcen bietet. Quellen: 1. Zeng, Q. et al. Variable Food-Specific IgG Antibody Levels in Healthy and Symptomatic Chinese Adults. PLoS ONE 8, (2013). 2. Lied, G. A., Lillestøl, K., Valeur, J. & Berstad, A. Intestinal B cell-activating factor: An indicator of non-IgE-mediated hypersensitivity reactions to food? Alimentary Pharmacology and Therapeutics 32, 66–73 (2010). 3. Kang, S. et al. IgG-Immune Complexes Promote B Cell Memory by Inducing BAFF. The Journal of Immunology 196, 196–206 (2016). 4. Ligaarden, S. C., Lydersen, S. & Farup, P. G. IgG and IgG4 antibodies in subjects with irritable bowel syndrome: A case control study in the general population. BMC Gastroenterology 12, (2012). 5. Stakenborg, N., Viola, M. F. & Boeckxstaens, G. E. Intestinal neuro-immune interactions: focus on macrophages, mast cells and innate lymphoid cells. Current Opinion in Neurobiology 62, 68–75 (2020). 6. Simrén, M. & Öhman, L. Pathogenesis of IBS: Role of inflammation, immunity and neuroimmune interactions. Nature Reviews Gastroenterology and Hepatology 7, 163–173 (2010). 7. Ng, Q. X., Soh, A. Y. sen, Loke, W., Lim, D. Y. & Yeo, W.-S. The role of inflammation in irritable bowel syndrome (IBS). J Inflamm Res 11, 345–349 (2018). 8. Chey, W. D., Kurlander, J. & Eswaran, S. Irritable bowel syndrome: A clinical review. JAMA – Journal of the American Medical Association 313, 949–958 (2015). 9. Barbara, G. et al. The immune system…

Glutenfreie Ernährung bei Reizdarm

Weizen gehört weltweit zu den am häufigsten konsumierten Getreidearten, und bildet nach wie vor einen wesentlichen Teil der westlichen Ernährung. Der Proteingehalt von Weizen beträgt zwischen 7 % und 22 %. Gluten (oder Klebereiweiß) macht etwa 80 % des Proteinanteils aus und besteht aus dem kettenförmigen Glutenin und dem globulären Glutenin, im Verhältnis 1 : 1. In Verbindung mit Wasser bildet Gluten als Klebereiweiß das Teiggerüst von Brot, Gebäck, Nudeln etc. Gluten ist dehnbar und sorgt im Weizenteig für das Zurückhalten des Gärgases Kohlendioxid. Somit kann das Gebäck aufgehen und behält auch nach dem Backen seine Form. Glutenähnliche Proteine kommen auch in anderen Getreidearten vor, z. B. Secalin (Roggen), Avenin (Hafer), Hordein (Gerste), Zein (Mais) Oryzin (Reis) oder Kafyrin (Hirse). Inzwischen gilt es als gesichert, dass Gluten Dysfunktionen und Erkrankungen verursachen kann, die im Zusammenhang mit einer erhöhten Darmdurchlässigkeit stehen. Diese führen zu chronischen Entzündungen und vor allem Autoimmun-Erkrankungen 1,2. Eine permanent gesteigerte Darmpermeabilität führt zu einer stetigen Zunahme von Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten – messbar mit IgG-Antikörpern gegen diese Nahrungsmittel 2. Die Forschungen von Alessio Fasano und Kollegen zeigten, dass es bereits wenige Minuten nach der Behandlung von Epithelzellen des Darmes (Caco-2) mit Gliadin zum Transport von Zonulin in Richtung Zellmembran kam, wo es seine Wirkung auf die Tight junctions entfaltete. Das Team von Fasano konnte zudem zeigen, dass es auch zur vermehrten Zonulin-Produktion und zu Erhöhung der parazellulären Permeabilität kam, wenn Dünndarm-Proben (ex vivo, außerhalb des Körpers) pathogenen Bakterien ausgesetzt waren 3. Intestinale Bakterien und unvollständig verdaute Anteile der Nahrung gelangen demnach aus dem intestinalen Lumen in die Blutbahn. Dadurch wird das Immunsystem aktiviert 4, was mit der vermehrten Produktion spezifischer IgG-Antikörper gegen Nahrungsbestandteile einhergehen kann, sowie der Entwicklung von IgG-vermittelten und verzögert auftretenden Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten. Eine erhöhte inflammatorische Belastung ist die Konsequenz dieser Vorgänge, die durch den wiederholten bzw. bevorzugten Konsum unverträglicher Lebensmittel chronisch bestehen bleiben kann. Im Rahmen der Ernährungsumstellung nach ProImmun M werden Kartoffeln und Getreide reduziert, zu Gunsten von hochwertigen Eiweißlieferanten und essentiellen Fettsäuren. Alle nicht positiv getesteten Fisch-, Fleisch- und Milchprodukte, Hülsenfrüchte und Nüsse werden in abwechslungsreicher Form in der Ernährung integriert. Glutenfreie, biologische Getreideprodukte aus alternativen Getreide- oder Pseudogetreidesorten (Reis, Mais, Hirse, Amaranth, Quinoa, Buchweizen und Teff) sind den herkömmlichen glutenhaltigen Getreidesorten vorzuziehen, sofern eine IgG-Reaktion gegen Gluten vorliegt. Viele Patienten mit Reizdarmsyndrom haben die Wahrnehmung, dass ihre Symptome durch weizenhaltige Lebensmittel ausgelöst werden. In einer ↗︎ kürzlich erschienenen Studie 5 wurde erneut nachgewiesen, dass der Verzicht auf Gluten die Symptome bei Reizdarm-Patienten bessert, sofern eine IgG-vermittelte Reaktion auf das Weizenprotein Gliadin (aus Gluten) vorhanden war. Die Wissenschaftler untersuchten 3 Gruppen von Probanden. Die erste Gruppe bestand aus 24 Reizdarm-Patienten, bei denen Anti-Gliadin IgG- und IgA-Antikörper im Blut nachgewiesen wurden. Die Gruppe 2 bestand aus 21 Reizdarm-Patienten, deren Blut keine Anti-Gliadin IgG- und IgA-Antikörper enthielt. Zusätzlich wurde noch eine dritte Kontrollgruppe aus 23 gesunden Probanden eingeschlossen. Bei allen Studienteilnehmern wurde vor und nach einer 4-wöchigen Ernährung ohne Gluten der gastrointestinale Transit untersucht, sowie Darmsymptome, Angstzustände, Depressionen, Ernährungsgewohnheiten und die Zusammensetzung der Mikrobiota. Dabei wurde von einer Ernährungsberaterin auch die Therapietreue erfasst, mit Untersuchung von Glutenpeptiden im Stuhl. Zu Beginn der Studie gab es keine symptomatischen Unterschiede zwischen den Patienten. Nach der Umstellung auf eine glutenfreie Ernährung berichteten Patienten mit Antigliadin-IgG und IgA von weniger Durchfallproblemen im Vergleich zu den Patienten ohne diese Antikörper. Bezogen auf den Ausgangswert vor der Ernährungsumstellung verbesserten sich die Symptome des Reizdarmsyndroms bei 18 von 24 Patienten (75 %) mit Antigliadin IgG und IgA und bei 8 von 21 Patienten (38 %) ohne diese Antikörper. Verstopfung, Durchfall und Bauchschmerzen nahmen bei Patienten mit Antigliadin-IgG und IgA ab, bei den Patienten der Gruppe 2 verringerten sich nur die Bauchschmerzen. Der gastrointestinale Transit normalisierte sich eher bei Patienten mit Antigliadin-IgG und IgA. In beiden Gruppen besserten sich die Ängste und Depressionen, das Wohlbefinden nahm zu. Die Symptome besserten sich auch dann, wenn die Patienten mit Antigliadin-IgG und IgA, den Glutenkonsum zwar reduzierten, sich aber nicht strikt an die glutenfreie Ernährung hielten. Bei den gesunden Probanden wurde durch den Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel keine Auswirkung auf die Darmfunktion festgestellt. Demnach empfehlen die Autoren dieser Studie einen Nachweis auf IgG- und IgA-Antikörper bei Reizdarm-Patienten, um diejenigen mit einer Ernährungsumstellung (adjuvant) zu therapieren, bei denen Antigliadin-IgG und IgA festgestellt wurde. Quellen 1. de Punder, K. & Pruimboom, L. The dietary intake of wheat and other cereal grains and their role in inflammation. Nutrients 5, 771–87 (2013). 2. Sturgeon, C. & Fasano, A. Zonulin, a regulator of epithelial and endothelial barrier functions, and its involvement in chronic inflammatory diseases. Tissue Barriers 4, (2016). 3. El Asmar, R. et al. Host-dependent zonulin secretion causes the impairment of the small intestine barrier function after bacterial exposure. Gastroenterology 123, 1607–15 (2002). 4. Karakula-Juchnowicz, H. et al. The role of IgG hypersensitivity in the pathogenesis and therapy of depressive disorders. 0, 1–9 (2014). 5. Inés Pinto-Sanchez, M. et al. Gluten-Free Diet Reduces Symptoms, Particularly Diarrhea, in Patients With Irritable Bowel Syndrome and Antigliadin IgG. (2021) doi:10.1016/j.cgh.2020.08.040.