Coenzym Q10 und Herzinsuffizienz

Coenzym Q10 (Q10, Ubiquinol/Ubiquinon) ist eine körpereigene, vitaminähnliche Substanz, die in jeder Zelle des menschlichen Körpers gebildet werden kann. Das „Q“ und die „10“ im Namen beziehen sich auf die chemische Gruppe Chinon und die 10 Isoprenyl-Untereinheiten, die Teil der Struktur dieser Verbindung sind. Der Begriff „Coenzym“ bezeichnet ein organisches (kohlenstoffhaltiges) Nicht-Protein-Molekül, das für das reibungslose Funktionieren seines Proteinpartners (eines Enzyms oder eines Enzymkomplexes) notwendig ist. Für die Funktion des mitochondrialen Energiestoffwechsels in der Atmungskette ist eine optimale Versorgung mit dem Coenzym Q10 fundamental. In der Atmungskette nimmt Q10 Elektronen an, die über Komplex I oder II zugeführt werden und transportiert sie dann weiter zum Komplex III. Wenn die Elektronenübertragung durch einen Mangel an Q10 eingeschränkt ist, wird die mitochondriale Energieerzeugung gestört. Dementsprechend kommen die höchsten Q10-Spiegel in Geweben mit hoher metabolischer Aktivität vor, z. B. Herz, Muskeln, Nieren, Leber und Bauchspeicheldrüse. Etwa ab dem 40. Lebensjahr kommt es langsam zu einer abnehmenden körpereigenen Bildung des Q10, wobei gleichzeitig eine erhöhte Tendenz zum oxidativen Stress in den Zellen besteht. Der Grund warum der CoQ10-Gehalt im Herzen und in anderen Geweben mit dem Alter abnimmt, ist nach wie vor unklar. Daher besteht ein erhöhter Coenzym-Q10-Bedarf mit zunehmendem Alter. Allgemein erfüllt Coenzym Q10 folgende Funktionen im menschlichen Körper: Funktion der mitochondriale Atmungskette (Elektronentransport von Komplex I und II zu Komplex III und der Q-Zyklus in Komplex III) entzündungshemmende Wirkungen durch die Modulation des Inflammasoms und indem Q10 die Expression von NFκ-B-abhängigen Genen beeinflusst Antioxidans Verbesserung der endothelialen Dysfunktion (durch Erhöhung von NO) Regulierung der physikochemischen Eigenschaften von Membranen Regulierung der mitochondrialen Permeabilitätsübergangsporen Schutz von LDL vor Oxidation (antiatherogene Eigenschaften) und Recycling von Antioxidantien wie Vitamin C oder Vitamin E Regulierung des Zellwachstums (über Coenzym Q-abhängige NADH-Oxidase, als Transporter von Elektronen durch die Plasmamembran) Insbesondere das Herz benötigt reichlich Q10 für den mitochondrialen Stoffwechsel. Generell kann eine Q10-Gabe sämtlichen Mitochondrien in allen Körperzellen nutzen und daher bei einer Vielzahl von Erkrankungen zumindest unterstützend hilfreich sein. Als Antioxidans kann Coenzym Q10 zelluläre Membranen sowie fettlösliche (lipophile) Bestandteile des Körpers (z. B. ungesättigte Fettsäuren, Low Density Lipoprotein (LDL) vor Oxidation durch freie Radikale schützen. Damit senkt Q10 auch die Viskosität des Blutes und reduziert das Risiko von Arteriosklerose und koronarer Herzkrankheit. Bei höherer Q10-Dosierung wurde auch die Aktivität der Superoxiddismutase erhöht und der Anteil des Stickstoffmonoxids (NO) im Blutplasma. Somit kann die Endothelfunktion, die energetische Versorgung und die Muskelregeneration nach anstrengender Übung verbessert werden. Eine Stimulierung des Immunsystems durch Coenzym Q10 wurde in Tierversuchen beobachtet. Wegen seines immunstimulierenden Potenzials wurde Coenzym Q10 als unterstützende Therapie bei Patienten mit verschiedenen Krebsarten eingesetzt. Generell kann in folgenden Situationen ein höherer Q10-Bedarf bestehen: kardiovaskuläre Risikofaktoren oder Erkrankungen Asthma Diabetes mellitus Einnahme bestimmter Medikamente (Statine senken den Q10-Serumspiegel um bis zu 40 %. Durch die Hemmung der HMG-CoA-Reduktase wird weniger Cholesterin gebildet, aber gleichzeitig auch weniger Q10.) hohe sportliche Aktivität Hyperthyreose Infektionen Krebs Muskelschwund neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Alzheimer und Parkinson Niereninsuffizienz parenterale Ernährung Stress vermehrter Alkoholkonsum Coenzyms Q10 kann aufgrund seiner biochemischen Eigenschaften eine wichtige Rolle spielen bei der Vorbeugung und Behandlung von HF und bei der Behandlung einiger sehr verbreiteter kardiovaskulärer Risikofaktoren oder Erkrankungen, z. B. arterielle Hypertonie, Insulinresistenz, Dyslipidämie, Atherosklerose, Arrhythmie, chronischer Herzinsuffizienz, Herzklappenerkrankungen, hypertrophe Kardiomyopathie, ischämische Herzkrankheiten, Morbus Menière oder toxininduzierte Kardiomyopathien. Der kardiovaskuläre Schutz ergibt sich aus dem Schutz der Herzfunktion und dem Schutz der Blutgefäße: Coenzyms Q10 schützt die Blutgefäße durch: Erhöhung der NO-Bioverfügbarkeit Reduktion der Lipidperoxidation Reduktion von oxidiertem LDL Reduktion von chronischer Inflammation (Reduktion von hs-CRP und TNF-α) Verbesserung der mitochondrialen Funktion Verbesserung der glykämischen Funktion (Reduktion von Nüchternblutzucker und HbA1c) Coenzyms Q10 schützt die Herzfunktion durch: Erhöhte mitochondriale Aktivität und ATP-Bildung Reduktion von reaktiven Sauerstoffspezies und oxidativem Stress Aktivierung von antioxidativen Enzymen Stabilisierung von Kalzium-Kanälen Bei HI zeigt der Herzmuskel eine verminderte ATP-Synthese, eine erhöhte Produktion reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) und eine Verschiebung des Kalziumaustauschs, hauptsächlich aufgrund einer ineffizienten Aktivität der Elektronentransportkette. Ein Herz im Endstadium der Insuffizienz kann bis zu bis zu 30 % weniger ATP enthalten im Vergleich zu einem gesunden Herzen. Darüber hinaus nimmt im Laufe des Alterns die antioxidative Wirkung von Coenzym Q10 allmählich ab, was wiederum den Schutz von Geweben – einschließlich des Herzmuskels und der Plasmalipoproteine – vor den toxischen Wirkungen von ROS gefährdet, die eine wichtige Rolle in der Pathogenese der HI spielen. In einer Studie von Onur et al. mit 871 gesunden, älteren Menschen wurde ein umgekehrtes Verhältnis zwischen der Konzentration von Coenzym Q10 im Serum und der Konzentration von NT-proBNP im Serum (Vorläufer des natriuretischen Peptids, einem Biomarker für chronische HI) festgestellt. Das Interesse an Coenzym Q10 im Zusammenhang mit der Behandlung der HI ist auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass bei diesen Patienten eine inverse Beziehung zwischen der Konzentration von Coenzym Q10 im Serum und dem Schweregrad der HI-Symptome und der Verschlechterung von physiologischen und biochemischen Markern der Herzmuskelfunktion besteht. Die Konzentration von Coenzym Q10 ist bei Patienten mit HI auch ein wichtiger Prädiktor für das Sterberisiko. Die Ergebnisse zahlreicher klinischer Studien belegen diese Tatsachen, nachfolgend sind nur einige Beispiele aufgeführt: Eine langfristige Coenzym-Q10-Supplementierung in einer Dosis von 300 mg/Tag (Q-SYMBIO-Studie) verbesserte die Herzfunktion und die Prognose bei Patienten mit HI erheblich. In einer Studie mit 443 älteren, gesunden Probanden untersuchten Alehagen et al. über 4 Jahre die Wirkung einer Coenzym-Q10-Supplementierung in einer Dosis von 200 mg/Tag + 200 μg/Tag Selen (oder Placebo) auf das kardiovaskuläre Risiko. Bei den Verum-Patienten wurde eine reduzierte kardiovaskuläre Mortalität im Vergleich zu den Patienten festgestellt, die ein Placebo erhielten (nach 12 Jahren Nachbeobachtung). Dies betraf vor allem Patienten mit ischämischer Herzerkrankung, Diabetes und arterieller Hypertonie. Im Zusammenhang mit dieser Studie ist es erwähnenswert, dass eine Selensupplementierung die Wirkung des endogenen Coenzyms Q10 unterstützen kann. Die Studie von de la Bella-Garzón et al. zeigte, dass hohe Coenzym Q10-Plasmakonzentrationen direkt mit einem geringeren kardiovaskulären Risiko bei älteren Menschen verbunden sind. In der Studie von Lee et al., erwies sich eine höhere Plasmakonzentration von Coenzym Q10 als Antirisikofaktor für koronare Herzerkrankungen. Eine Meta-Analyse von 5 klinischen Studien ergab, dass eine Coenzym Q10-Supplementierung mit einer signifikanten Verbesserung der…

Multiple Sklerose und IgG-Antikörper gegen Casein

Multiple Sklerose ist eine chronische demyelinisierende Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, bei der sowohl im Gehirn als auch im Rückenmark chronische Entzündungen auftreten. Durch diese Entzündungen entstehen Nervenschäden, die Lähmungen, Müdigkeit oder auch Sehschäden verursachen können. Die Ursache dieser Krankheit ist nicht bekannt, aber man geht mittlerweile davon aus, dass das Epstein-Barr-Virus (EBV) ein möglicher Verursacher ist. Anhand der Daten von Millionen von US-Militärrekruten, die über einen Zeitraum von 20 Jahren beobachtet wurden, stellte man fest, dass eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus das Risiko, später an Multipler Sklerose zu erkranken, stark erhöht ist und der Entwicklung der Krankheit vorausgeht, was seine potenzielle Rolle bei der Pathogenese der Multiplen Sklerose untermauert. Experten schätzen allerdings, dass sich rund 95 % der europäischen Bevölkerung bis zum 30. Lebensjahr mit dem EBV infizieren und danach über ausreichend Antikörper gegen den Erreger verfügen. Daher müssen noch weitere Faktoren hinzukommen, damit die Krankheit ausbricht. So gibt es eine Vielzahl genetischer Veranlagungen, die das MS Risiko erhöhen. Dazu gehören der Vitamin D-Status, Rauchen und Übergewicht im Kindesalter. Auch die Ernährung spielt eine wichtige Rolle. Die Ernährungsimmunologie befasst sich mit dem Einfluss der Ernährung auf das Immunsystem. Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass lebensmittelspezifisches IgG an der Entstehung und dem Fortschreiten bestimmter Krankheiten beteiligt ist, wie z. B. entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarmsyndrom, Migräne und psychische Erkrankungen. In unseren Newslettern der vergangenen Jahre haben wir regelmäßig über diese Erkenntnisse berichtet. In verschiedenen Studien wurde eine hohe Prävalenz von IgG-Antikörpern gegen bestimmte Nahrungsmittelallergene bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen festgestellt. Dementsprechend können IgG-Antikörper einen Hinweis auf den Krankheitsstatus geben und als Richtschnur für Ernährungsempfehlungen für Patienten dienen. Außerdem hatten Migränepatienten mit positiven lebensmittelspezifischen IgG-Antikörpern schlechtere Migräne-, Angst- und gastrointestinale Symptome. Auch bei Patienten mit depressiven Störungen wurden signifikant höhere Serumraten an lebensmittelspezifischen IgG-Antigenen festgestellt. Die Symptome dieser und anderweitiger Krankheiten können durch lebensmittelspezifische IgG-basierte Ernährungsempfehlungen gelindert werden. Immunreaktionen gegen körpereigene Strukturen sind das Kennzeichen aller Autoimmunerkrankungen. IgG-Antikörper können mit Allergenen in Lebensmitteln einen Immunkomplex bilden und so (chronisch schleichende) Entzündungsreaktionen im Körper auslösen, die sich in verschiedenen Symptomen und Erkrankungen äußern. Solche „molekulare Mimikry“-basierte Nahrungsmittel-Immunreaktivität tritt auf, wenn ein Nahrungsmittelprotein (oder –peptid) eine Sequenz von Aminosäuren aufweist, die der Struktur des eigenen Gewebes stark ähnelt. T- und B-Zellen werden aktiviert und es kommt zur Produktion von Antikörpern, die sowohl mit den fremden Nahrungsmittelproteinen reagieren als auch mit körpereigenen Proteinen verschiedener Gewebearten. Das Hauptmerkmal der Multiplen Sklerose ist die Zerstörung der Hüllstrukturen neuronaler Axone durch das körpereigene Immunsystem. Diese Zerstörung nimmt im Krankheitsverlauf weiter zu. Bereits in den 1970er Jahren wurde der Milchkonsum als ein ätiologischer Faktor der MS vermutet. Man ging davon aus, dass ein Zusammenhang besteht zwischen hohem Milchkonsum in der Kindheit, gefolgt von einem starken oder plötzlichen Rückgang während des Wachstumsschubs in der Jugend, und dem späteren Auftreten von MS bei jungen Erwachsenen. Die MS-Raten sind erhöht in Bevölkerungsgruppen, in denen viel Kuhmilch konsumiert wird. Wie der Milchkonsum jedoch Autoimmunreaktionen auf ZNS-Antigene auslöst und zur Krankheitsentwicklung beitragen könnte, blieb bisher unklar. Dem Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG) wird eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Myelinscheide von Neuronen zugeordnet. Das Interesse für MOG liegt vor allem in seiner Rolle im Zusammenhang mit MS und anderen demyelinisierenden Erkrankungen. Diverse Studien zeigten einen Zusammenhang zwischen Antikörpern die gegen dieses Protein gerichtet sind und der Pathogenese der MS. In Tiermodellen konnte man nachweisen, dass gegen MOG gerichtete Antikörper die Fähigkeit besitzen, die Demyelinisierung auszulösen. Bereits vor 20 Jahren wurde nachgewiesen, dass bestimmte Bereiche des MOG-Proteins eine große Ähnlichkeit aufweisen mit Butyrophilin (BTN), einem Milchprotein. In Tierversuchen wurde gezeigt, dass es zu Kreuzreaktionen kommen kann zwischen bestimmten MOG-Antikörpern und dem Kuhmilchprotein BTN. Doch BTN ist nicht das einzige immunologisch relevante Protein. Kuhmilch enthält insgesamt 3,2 % Protein, das zu ca. 80 % aus Caseinen besteht. Casein ist eines der Hauptallergene der Milch. In einer neuen Studie, mit Beteiligung der Universität Bonn wurde nachgewiesen, dass eine Immunreaktion gegen Casein die demyelinisierende Pathologie der MS aufgrund der Ähnlichkeit mit dem Myelin-assoziierten Glykoprotein (MAG) verschlimmern kann. MAG ist (wie MOG) für die Interaktionen des Axons mit den Myelinbildenden Zellen verantwortlich. Der Anstoß für die Studie kam von den MS-Patienten selbst: „Wir hören immer wieder von Betroffenen, dass es ihnen schlechter geht, wenn sie Milchprodukte zu sich nehmen“, erklärte Stefanie Kürten vom Anatomischen Institut des Universitätsklinikums Bonn. So sind die Wissenschaftler den Ursachen für diesen Zusammenhang nachgegangen. Die Studie ergab, dass die B-Zellen im Blut von Menschen mit MS besonders stark auf Casein reagieren. Vermutlich haben die Betroffenen irgendwann durch den Konsum von Milch eine Immunreaktion gegen Casein entwickelt. Sobald sie frische Milchprodukte zu sich nehmen, produziert das Immunsystem massenhaft Casein-Antikörper. Die mittleren IgG-Titer gegen Casein waren bei Patienten mit MS deutlich höher als bei Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen. Aufgrund der Kreuzreaktivität mit MAG kommt es so bei den MS-Patienten zur demyelinisierenden Schädigung der Myelinscheide um die Nervenfasern. MS-Patienten sollten daher auf den Verzehr von Milchprodukten verzichten. Es ist möglich, dass Kuhmilch auch bei gesunden Menschen das Risiko erhöht, an MS zu erkranken. Denn Casein kann auch bei ihnen Allergien auslösen – was wahrscheinlich nicht einmal so selten ist. Sobald eine solche Immunreaktion besteht, kann es theoretisch zu einer Kreuzreaktivität kommen. Das bedeute aber nicht, dass eine Überempfindlichkeit gegen Casein zwangsläufig zur Entwicklung von Multipler Sklerose führe, betonen die Bonner Wissenschaftler. Zusammengenommen zeigen diese Ergebnisse, wie der Konsum von Milch und Milchprodukten die Autoimmunreaktion bei MS verschlimmern kann. Quellen 1. Chunder, R. et al. Antibody cross-reactivity between casein and myelin-associated glycoprotein results in central nervous system demyelination. Proc Natl Acad Sci U S A 119, (2022). 2. Milk may exacerbate MS symptoms: Cow’s milk protein triggers autoimmune response in mice that damages neurons — ScienceDaily. https://www.sciencedaily.com/releases/2022/03/220301131110.htm. 3. Milk may exacerbate MS symptoms — University of Bonn. https://www.uni-bonn.de/en/news/042-2022. 4. Rojas, M. et al. Molecular mimicry and autoimmunity. J Autoimmun 95, 100–123 (2018). 5. Jarius, S. et al. MOG-IgG in primary and secondary chronic progressive multiple sclerosis: A multicenter study of 200 patients and review of the literature. Journal of Neuroinflammation 15, (2018). 6. Ramanathan, S., Dale, R. C. & Brilot, F. Anti-MOG antibody:…