Depressionen sind weit verbreitet und haben weltweit eine steigende Inzidenz. Verschiedene Faktoren scheinen das Risiko und die Neuroprogression einer depressiven Erkrankung zu erhöhen, wobei auch ein Zusammenhang mit systemischen Entzündungsreaktionen besteht. Dazu gehören: psychosozialer Stress, eine mangelhafte Ernährung, körperliche Inaktivität, Übergewicht, Rauchen, veränderte Permeabilität des Darmes, Schlaf- und Vitamin D-Mangel. Die meisten dieser Faktoren sind plastisch, und daher auch durch therapeutische und präventive Maßnahmen zu beeinflussen. Sie spielen auch bei anderen psychiatrischen Erkrankungen eine Rolle, z. B. bipolaren Störungen, Schizophrenie, Autismus und posttraumatischen Belastungsstörungen.
Depressive Episoden gehen nicht nur mit Änderungen der Neurotransmission im zentralen Nervensystem einher, sondern können auch zu strukturellen Veränderungen im Gehirn führen, durch neuroendokrine, entzündliche und immunologische Mechanismen. In den vergangenen Jahren haben sich die Hinweise gemehrt, dass bei depressiven Patienten die Ernährung einen Einfluss auf das Leaky Gut-Syndrom hat, auf die Immunfunktion und systemische Entzündungsprozesse. Eine Metaanalyse hat deutlich gemacht, dass eine gesunde Ernährungsweise mit mehr Gemüse, Obst und Vollkornprodukten mit einem um 30 % verringerten Depressionsrisiko verbunden ist, während der erhöhte Verzehr von verarbeiteten Lebensmitteln mit einem höheren Depressionsrisiko verbunden ist. Die Gliadin-vermittelte Überproduktion von Zonulin verursacht eine Lockerung der Tight Junction-Verbindungen im Darmepithel, was mit einer erhöhten Durchlässigkeit der Darmwand („Leaky Gut“) einhergeht. Dies ermöglicht größeren Molekülen, die normalerweise im Darm zurückgehalten werden, in den Blutstrom zu gelangen und IgG-vermittelte Nahrungsmittelunverträglichkeiten zu induzieren. Es kommt dadurch zu einer erhöhten Immunantwort, die mit der Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen verbunden ist, welche wiederum zur Progression depressiver Symptome führen können. Weitere Mechanismen wurden vorgeschlagen, um eine mögliche Rolle von Nahrungsmittelunverträglichkeiten für die psychische Gesundheit zu erklären. Verschiedene Neurotransmitter und Neuropeptide vermitteln die Signalübertragung zwischen der Darm-Hirn-Achse als Verbindung zwischen dem Nerven- und dem Verdauungssystem, wobei 90 % des körpereigenen Serotonins im Darm gebildet werden. Es wird angenommen, dass das Darmmikrobiom eine bedeutende Rolle spielt bei der Beeinflussung von Stimmung, Verhalten und Entzündungen.
Bei depressiven Patienten ist es daher ratsam, spezifische IgG-Titer für ausgewählte Nahrungsmittel zu bestimmen. Gleichzeitig sollte auch die intestinale Permeabilität beurteilt werden, z. B. über den Marker Zonulin. Im Falle erhöhter IgG-Konzentrationen, ist die Durchführung einer Eliminations- und Rotationsdiät eine wirksame Methode zur Verringerung der Entzündung. Somit sollte die Umsetzung einer entsprechenden Ernährungsumstellung, Verwendung geeigneter Probiotika und antiinflammatorischer Naturstoffe zu einem wesentlichen adjuvanten Bestandteil der erfolgreichen Behandlung von Depressionen werden. Die Reduktion des IgG-Titers im Serum der Patienten, die im Rahmen der Eliminationsdiät stattfindet, könnte mitunter auch als ein Hinweis auf die funktionale Wiederherstellung der Tight Junctions bzw. der intestinalen Integrität betrachtet werden.
Dieses neue Paradigma zur Pathogenese depressiver Störungen welches Leaky Gut, IgG-abhängige Nahrungsmittelhypersensitivität und systemische Entzündungsprozesse miteinander verbindet, scheint sehr viel versprechend. In einer publizierten Fallstudie (bitte verlinken mit https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31600757/) wird von einer 34-jährige Patientin mit schwerer depressiver Erkrankung berichtet, deren Symptome sich mit einer IgG-basierten Ernährung verbesserten. Die Wiedereinführung unverträglicher Lebensmittel bei verschiedenen Gelegenheiten war mit einer Verschlechterung der Stimmungslage verbunden.
Eine 34-jährige Sozialarbeiterin stellte sich mit schweren Depressionen, generalisierter Angststörung, Übergewicht (BMI 29) Verstopfung und Akne vor. Sie wurde bereits früher mit Psychopharmaka behandelt, die sie jedoch schon vor 5 Jahren aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen abgesetzt hatte. Sie interessierte sich für nicht-pharmakologische Interventionen, einschließlich ernährungsmedizinischer Ansätze. Die Patientin erfüllte die medizinischen Kriterien einer schweren Depression mit Phasen niedriger Stimmung und Gleichgültigkeit, Schlafstörungen, gesteigertem Appetit, Verlust der Lebensfreude und Müdigkeit. Sie hatte bereits einen langen Leidensweg hinter sich. Die Depressionen begann im Alter von 12 Jahren und wurden bis zum Alter von 20 Jahren nicht behandelt. Ihr wurde Venlafaxin verschrieben, was sie jedoch nicht als hilfreich empfand. Außerdem traten bei höheren Dosen Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Erbrechen auf. Sie wurde auch psychotherapeutisch behandelt und nutzte ein App-basiertes kognitives Verhaltensprogramm, das sie als mäßig hilfreich empfand. Ihr üblicher Ernährungsplan sah so aus: kein Frühstück, Hamburger und Pommes frites als Mittagessen und Pizza aus dem Supermarkt als Abendessen. Dazwischen gab es Snacks, Donuts, Cookies, Popcorn oder Chips. Sie verzehrte häufig Fertiggerichte aus dem Supermarkt und hatte keinerlei körperliche Bewegung.
Eine hypoallergene Ernährung wurde verordnet und bereits bei der ersten Nachuntersuchung zwei Wochen später gab die Patientin eine verbesserte Stimmung an, weniger Weinanfälle und ein gesteigertes Interesse an Aktivitäten. Außerdem berichtete sie von mehr Energie, geistiger Klarheit und häufigerem Stuhlgang. Die Akneläsionen bildeten sich zurück und sie nahm 5 kg ab. Bei einer weiteren Nachuntersuchung nach drei Wochen stellte die Patientin fest, dass die Wiedereinführung von Milchprodukten zu einem raschen Einsetzen (innerhalb eines Tages) der Stimmungsschwankungen führte, einschließlich Traurigkeit und vermehrtem Weinen. Die Wiedereinführung von Gluten und Milchprodukten brachte sie mit Kopfschmerzen, Blähungen, Völlegefühl und Bauchbeschwerden in Verbindung. Sie führte die Stimmungsschwankungen nicht auf andere gleichzeitige Veränderungen in ihrem Lebensstil oder Ereignisse in ihrem Leben zurück.
Im Anschluss an die Eliminationsdiät wurden zusätzliche Therapien verordnet, darunter die Einnahme von Fischöl (1.300 mg Eicosapentaensäure, 200 mg Docosahexaensäure, 6,7 mg Vitamin E pro Tag), intramuskuläre Vitamin B12-Injektionen (1.000 µg) und Sport. Sie berichtete, dass diese Empfehlungen unabhängig von der Ernährung zu einer Stimmungsverbesserung führten. In den folgenden zwei Jahren kam die Patientin etwa alle drei Wochen in die Praxis. Es fiel ihr schwer, die Ernährungsumstellung beizubehalten, und sie kehrte 5 Mal zu ihren früheren Ernährungsgewohnheiten zurück, bevor sie die Eliminationsdiät wieder aufnahm. Jedes Mal, wenn sie die Eliminationsdiät wieder aufnahm und dabei Lebensmittel vermied, die sie als reaktiv eingestuft waren, stellte sie eine Verbesserung ihrer Stimmung und ihrer Verstopfung fest. Die Rückkehr zu ihrer vorherigen Diät führte zu einer Verschlechterung ihrer Stimmung und Verstopfung sowie zu Kopfschmerzen. Im IgG-Test wurde eine sehr hohe Reaktivität für Weizen, Casein und Hefe festgestellt. Diese Ergebnisse waren für die Patientin ein Ansporn, die Ernährungsumstellung konsequent einzuhalten, und Eigenverantwortung bei der Bewältigung ihrer Symptome zu übernehmen.
Dies ist ein weiteres Beispiel, welches im IgG-Test das Empfinden so zahlreicher Patienten bestätigt, die Krankheitssymptome mit dem Konsum unverträglicher Nahrungsmittel in Verbindung bringen.
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