Unter „Vitamin D“ (Calciferole), welches oftmals auch als “Sonnenscheinvitamin” bezeichnet wird, werden verschiedene Seco-Steroide zusammengefasst, die Vitamin-D-Aktivität haben. Eigentlich handelt es sich bei Vitamin D nicht um ein Vitamin im eigentlichen Sinne. Vitamine sind nämlich lebensnotwendige Stoffe, die vom Körper nicht selbst gebildet werden können und daher mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Das trifft aber auf Vitamin D nicht zu, denn bei ausreichender Sonnenbestrahlung kann der Körper den Großteil des benötigten Vitamins (80 bis 90 Prozent) selbst produzieren. Über die Ernährung wird der Körper nur zu etwa 10 bis 20 Prozent mit Vitamin D versorgt. Nur wenige Lebensmittel, wie z. B. fetter Fisch, enthalten von Natur aus signifikante Mengen an Vitamin D. In manchen Ländern werden mittlerweile Kuhmilch, pflanzliche Milchersatzprodukte oder Frühstückscerealien mit Vitamin D angereichert. Vitamin D kann eher als Hormon betrachtet werden, wobei die Aktivierung des Vitamin D-Pro-Hormons zur aktiven Form des Calcitriols führt, welches über einen Rezeptor in der Membran des Zellkerns (Retinoid-X-Rezeptor) die Genexpression in über 30 verschiedenen Zell- und Gewebearten steuert (z. B. Monozyten, T-Lymphozyten, Inselzellen des Pankreas, Zellen von Herz, Skelettmuskeln, Ovarien und Prostata, Endothelzellen der Aorta). Somit kommen ganz unterschiedliche Wirkungen zustande, die unabhängig vom Knochenstoffwechsel sind. Dies erklärt auch, weshalb bei ganz unterschiedlichen Erkrankungen ein korrigiertes Vitamin D-Defizit zur Besserung der Symptomatik führt. Zu den wichtigsten D-Vitaminen gehören:
- Vitamin D3 (Cholecalciferol bzw. Colecalciferol), wird in der Leber und der Niere in das biologisch aktive Calcitriol umgewandelt.
- 1,25-(OH)2 Vitamin D3 (Calcitriol)
- 25-OH-Vitamin D3 (Calcidiol)
- Vitamin D2 (Ergocalciferol)
Vitamin D wird benötigt, um die Calciumkonzentration im Serum innerhalb des normalen physiologischen Bereichs für die Gesundheit des Bewegungsapparats zu halten. Dadurch wird z. B. die Aktivität calciumbindender Transportproteine der Osteoblasten im Knochengewebe gesteigert. Vitamin D wird zur Reifung und Aktivität der Knochenzellen benötigt, die Knochen werden mineralisiert und gehärtet, indem Calcium und Phosphat in die Knochen eingebaut werden. Auch für die Reifung der Chondrocyten zur Kallusbildung nach Knochenbrüchen wird Vitamin D benötigt. Die Aufrechterhaltung der Calcium-Absorption im Darm und in den Nierentubuli wird durch Vitamin D gesteuert. Die wichtigsten weiteren Funktionen von Vitamin D:
- Forschungen der vergangenen 20 Jahre haben eine unterstützende Rolle von Vitamin D für die Funktion der Immunzellen nachgewiesen. Auf zellulärer Ebene moduliert Vitamin D sowohl das adaptive als auch das angeborene Immunsystem durch Zytokine und die Regulation von verschiedener Signalwege. Der Vitamin D-Rezeptor (VDR) befindet sich auf sowohl T- als auch B-Immunzellen. Dadurch kann Vitamin D die Proliferation, Hemmung und Differenzierung dieser Zellen modulieren. Durch Vitamin D erfolgt die Differenzierung von Monozyten zu Makrophagen, die Phagozytose-Aktivität wird stimuliert, TNF-α und CRP-Spiegel werden reduziert, und das Th1/Th2 Gleichgewicht wird wiederhergestellt. Calcitriol kann die Produktion proinflammatorischer Zytokine des Th1 Signalweges (z. B. IFN-γ, IL-2) unterdrücken und die Bildung antientzündlich wirksamer Zytokine des Th2 Signalweges (z. B. IL-4, IL-8) steigern. Dies ist besonders wichtig zur Prävention aber auch zur Therapie von Autoimmunerkrankungen sowie allergischer und entzündlicher Erkrankungen (z. B. Asthma bronchiale, COPD, Diabetes mellitus Typ 1, Morbus Crohn, Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis, Sklerodermie). In experimentellen Modellen einer durch Lipopolysaccharide induzierten Entzündung ergab die Behandlung mit Vitamin D niedrigere Konzentrationen des proinflammatorischen Zytokins Interleukin-6 (IL-6). Dieses Zytokin spielt auch eine bedeutende Rolle beim Covid-19-induzierten akuten respiratorischen Syndrom (ARDS). Da Vitamin D insbesondere für die Modulation der Entzündungsreaktion auf virale Infektionen wichtig ist, wird von verschiedenen Experten die präventive Anwendung im Kontext einer SARS-Cov-2 Infektion empfohlen.
- Da chronische Entzündungen als Risikofaktor für die Entstehung von Krebs angesehen werden, könnte die Unterdrückung von Entzündungen durch Calcitriol zu seiner antineoplastischen Aktivität beitragen. Bei Krebs wird die Synthese von Prostaglandinen durch Calcitriol gezielt beeinflusst. Dabei handelt es sich um Derivate der Arachidonsäure, die eine Schlüsselrolle bei der Erzeugung der Entzündungsreaktion spielen. Eine unterdrückte Produktion von inflammatorische wirksamen Zytokinen, wie z. B. IL-1, IL-6, IL8, IL-17 und TNF-α ist in verschiedenen Krebsmodellen konsistent nachgewiesen worden. Auch wird die von Tumoren veranlasste Neubildung von Gefäßen durch Vitamin D unterdrückt. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Calcitriol und seine Analoga das Wachstum von Krebszellen verlangsamen, indem sie die Zellen in der G0/G1-Phase des Zellteilungszyklus „anhalten“, oder den apoptotischen Zelltod induzieren. Außerdem beeinflusst Calcitriol die Angiogenese, verändert die Zelladhäsion und -migration und reduziert die Invasivität von Krebszellen. Rezeptoren für Calcitriol befinden sich in den Membranen der Zellkerne von Brustdrüsen, Prostata und Colon, woraus sich eine mögliche Prävention bzw. Therapie von Colon-, Mama-, und Prostatakarzinomen ergibt.
- Vitamin D erfüllt eine wesentliche Rolle bei der cutanen Zellerneuerung und ist somit für den Schutz und die Regeneration der Haut von Bedeutung. Dieses Vitamin unterstützt auch die Immunfunktion der Haut und fördert somit die Wundheilung und Abheilung von Entzündungen. Daher haben Menschen mit ausgeprägtem Vitamin D-Mangel nicht selten Probleme mit Hautkrankheiten wie Neurodermitis, Akne oder Psoriasis. In der Haut hemmt Vitamin D das gesteigerte Zellwachstum, wirkt also antiproliferativ.
- Vitamin D fördert auch die Zunahme der Muskelmasse, stärkt die Muskelfunktion und Muskelkraft. Eine Verringerung des Sturzrisikos wurde ebenso beschrieben, die möglicherweise durch die Regulierung der neuromuskulären Koordination zustande kommt. Mit zunehmendem Alter – ab ca. 50 Jahren – lässt die Muskelkraft nach, die Muskelmasse schwindet (Sarkopenie). Man schätzt den altersbedingten jährlichen Muskelverlust auf etwa 1 bis 2 Prozent. Durch eine gute Vitamin D-Versorgung soll der Sarkopenie Einhalt geboten werden.
- Im Herz-Kreislaufsystem stärkt Vitamin D die Herzmuskelleistung, reduziert den systolischen und diastolischen Blutdruck und hat eine antithrombotische Wirkung durch die Aktivierung des Thrombomodulins. Zudem spielt Vitamin D eine Rolle bei der Reduktion der Triglyceride und des Parathormons, was für Erkrankungen wie Hypertonie und Herzinsuffizienz wichtig ist.
- Die hormonellen Wirkungen von Vitamin D beziehen sich auf die endokrine Regulation. Durch Vitamin D wird die Transkription hormonsensitive Gene reguliert und auch auf das Renin-Angiotensin-System wird Einfluss genommen. Vitamin D wird benötigt zur Synthese und Freisetzung von Schilddrüsenhormonen, sowie zur Sekretion von Parathormon und Insulin. Im Pankreas wird Vitamin D benötigt, um die Insulinsekretion der Betazellen aufrecht zu erhalten. Daraus ergibt sich auch ein Vitamin D-Mangel als Risikofaktor für das metabolische Syndrom, welches mit einer reduzierten Insulinsekretion einhergeht.
Mögliche Symptome eines Vitamin D-Defizits sind z. B Infektanfälligkeit, depressive Verstimmungen, kardiovaskuläre Beschwerden, Schwäche, Schlafstörungen, Müdigkeit, Skelettdeformierungen (z. B. Rachitis, Osteomalazie), erhöhtes Bruchrisiko, Muskelschwäche, Myopathien, Osteoporose, Herzinsuffizienz, Hypertonie metabolisches Syndrom, Multiple Sklerose, Mama-, Prostata- und Darmkarzinom.
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