Lebensmittelspezifische IgG-Antikörper und Übergewicht
Die Zahl der fettleibigen Menschen steigt weltweit und mittlerweile wurden die Maßnahmen gegen Adipositas für gescheitert erklärt. Ein härteres Durchgreifen ist dringend notwendig, denn der Kampf gegen Übergewicht kommt nur langsam voran. Adipositas gilt heute als weltweite Epidemie und ist ein starker Risikofaktor für Insulinresistenz, Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM), Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Immunstörungen, nichtalkoholische Fettlebererkrankungen (NAFLD) sowie verschiedene Krebsarten. Auch die Zahl der übergewichtigen Kinder ist in den vergangenen 30 Jahren drastisch gestiegen. Kinder in den USA wiegen im Durchschnitt fünf Kilogramm mehr als ihre Altersgenossen vor dreißig Jahren, sie nehmen täglich 200 Kilokalorien mehr zu sich. Übergewicht und Fettleibigkeit bergen eine enorme Belastung der Gesundheitsausgaben für die Gesellschaft. Insgesamt wird Adipositas mit einer Beeinträchtigung der Lebensqualität, einer verkürzten Lebensspanne und erhöhten Kosten im Gesundheitswesen in Verbindung gebracht. Auch die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft geht mit einer Pandemie der Fettleibigkeit und damit verbundenen kardiometabolischen Störungen einher. Die fortschreitende Dysfunktion des weißen Fettgewebes wird immer mehr als wichtiges Merkmal des Alterungsprozesses erkannt, das wiederum zu Stoffwechselveränderungen, Multiorganschäden und einer systemischen Entzündungsreaktion („Inflammageing“) beiträgt. Adipositas weist zahlreiche biologische Ähnlichkeiten mit dem normalen Alterungsprozess auf, wie z. B. chronische Entzündungen und Veränderungen in mehreren Organsystemen. Die Pathophysiologie der Adipositas ist die einer multifaktoriellen chronischen Erkrankung und keineswegs nur das Ergebnis eines Ungleichgewichts zwischen Kalorienaufnahme und -verbrauch. So wurden im übergewichtigen, fettleibigen Organismus eine ganze Reihe von Stoffwechselanomalien, oxidativer Stress, mitochondriale Dysfunktion, Immundysfunktion und chronische Entzündungen niedrigen Grades festgestellt. Adipositas steht ursächlich im Zusammenhang mit chronisch-inflammatorischen Reaktionen im weißen Fettgewebe, die mit der Aktivierung des Immunsystems einhergehen. Obwohl mittlerweile allgemein bekannt ist, dass das Fettgewebe auf Überernährung mit einer Immunreaktion reagiert, sind die ursprünglichen Entzündungsauslöser leider immer noch weithegend unbekannt. Daher ist auch die klinische Wirksamkeit von Medikamenten bisher enttäuschend, die auf die derzeit bekannten Entzündungswege abzielen. Die mit Adipositas einhergehende systemische chronische Entzündung wird als das gemeinsame Krankheitsprinzip verschiedener Zivilisationskrankheiten betrachtet. Der CRP-Wert, als wichtiger Entzündungsmarker, korreliert mit dem Ausmaß des Übergewichts bzw. Insulinresistenz und normalisiert sich üblicherweise wieder nach einer Gewichtsreduktion. Patienten mit niedrigem CRP hatten größeren Erfolg bei der Gewichtsreduktion als Patienten mit höheren CRP-Entzündungsparametern. Das bedeutet, dass im Organismus ablaufende Entzündungen das Abnehmen erschweren. Systemische Entzündungen können auch durch die Nahrung verursacht werden. Das Immunsystem kann Nahrungsproteine oder deren Abbauprodukte als Immunogene erkennen, worauf lebensmittelspezifische IgG-Antikörper gebildet werden, die entsprechende Immunreaktionen und daraus entstehende Entzündungsreaktionen auslösen, die als sog. „stille“ chronisch niedriggradige Inflammationen an Symptomen oder Krankheiten beteiligt sind. Dieser Zusammenhang wurde erstmals in einer Studie mit übergewichtigen Kindern (BMI 25 – 35) nachgewiesen – im Vergleich mit einer Gruppe von Kindern, deren Gewicht im Normalbereich lag. Blutproben aller Kinder wurden auf lebensmittelspezifische IgG-Antikörper und den Entzündungsmarker C-reaktives Protein (CRP) getestet. Die adipöse Gruppe hatte einen 2,5-fach höheren IgG-Antikörpertiter gegen Lebensmittel und einen dreifach erhöhten CRP-Wert im Vergleich zu den Kindern mit Normalgewicht. Der erhöhten Werte der IgG-Lebensmittelantigene waren mit einem präatherosklerotischen Schaden korreliert, der eine entzündungsbedingte Ursache für sekundären Bluthochdruck ist. Lebensmittelspezifische IgG-Antikörper wurden von den Autoren mit einer chronischen systemischen Entzündung assoziiert, wobei IgG-Antikörper gegen Lebensmittelproteine an entzündlichen Signalwegen beteiligt sind, die zu Übergewicht führen und dieses auch aufrechterhalten. Bei 140 adipösen Probanden wurden Biomarker für Entzündungen (CRP), IgG, IgA und IgM gegen Saccharomyces cerevisiae mannan (ASCA-IgG-Antikörper) sowie Serumzonulin (Darmpermeabilität) untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass nur IgG-positive Probanden höhere CRP-Werte und eine höhere Körperfettmasse aufwiesen. Auch erhöhte Zonulinspiegel waren bei Patienten mit positivem ASCA-IgG häufiger vorhanden als bei Patienten bei denen ASCA-IgG nicht nachweisbar war. In der Studie von Onmus et al. (2016) mit 82 Patienten (18 bis 65 Jahre, BMI ≥ 25) wurde der Frage nachgegangen ob eine IgG-basierte Eliminationsdiät den Gewichtsverlust bei übergewichtigen Patienten unterstützt, die durch eine konventionelle Kalorienrestriktions-Diät kein Gewicht verlieren konnten. Bei allen Patienten wurde ein IgG-basierter Lebensmitteltoleranztest durchgeführt. Die Hälfte der Patienten erhielten danach eine Eliminationsdiät die auf den festgestellten Nahrungsmittelunverträglichkeiten beruhte, während sich die andere Hälfte der Patienten an ihre konventionelle Diät hielt, in Kombination mit körperlicher Aktivität. Alle Patienten wurden von einem Ernährungsberater unterstützt. Die Ergebnisse wurden nach 6-monatiger Diät erfasst: – Durchschnittswerte von 42 Patienten nach einer 6-monatigen IgG-basierten Eliminationsdiät Gewichtsverlust – 8,5 kg; Fettverlust – 4,9 kg; BMI – 2,8; Triglyzeride – 28 mg/dl – Durchschnittswerte von 40 Patienten nach einer 6-monatigen kalorienreduzierten Diät: Gewichtsverlust – 0,8 kg; Fettverlust – 0,5 kg; BMI – 0,7; Triglyzeride – 7 mg/dl Somit wurde in dieser Studie gezeigt, dass Übergewichtige, die durch eine kalorienreduzierte Diät nicht Gewicht verlieren können, durch eine IgG-basierte Eliminationsdiät sowohl Fett als auch Gewicht verlieren. Dabei wurde auch der Triglyceridspiegel signifikant reduziert. In der Studie von Lewis et al. (2011) wurde die Auswirkung einer IgG-basierten Eliminationsdiät auf klinische Parameter untersucht bei Personen, die Gewicht verlieren wollten und/oder übergewichtig waren. Bei 120 Erwachsenen (normal- und übergewichtig) wurde ein IgG-Nahrungsmitteltoleranztest durchgeführt. Körpergewicht, Body-Mass-Index (BMI), Hüft- und Taillenumfang, Blutdruck, Puls und Lebensqualität (SF-36–Fragebogen) wurden zu Beginn der Diät erhoben, sowie auch nach 30, 60 und 90 Tagen. Die Ergebnisse zeigten im Laufe der 3 Monate eine Reduktion von Körpergewicht (ca. 5 Kg), Body-Mass-Index (- 1,8), Hüft- und Taillenumfang (- 3,5 und – 7,4) und diastolischem Blutdruck (- 5,0). Gleichzeitig verbesserten sich alle Indikatoren der Lebensqualität gemäß des SF-36 Fragebogens. Die Meidung IgG-induzierender inflammatorischer Nahrung hemmt die entzündliche Reaktion des Immunsystems und stellt das pro- und antiinflammatorische Gleichgewicht des Körpers wieder her. Symptomverbesserung durch eine individualisierte und zeitlich begrenzte Eliminationsdiät IgG-reaktiver Lebensmittel oder die Beteiligung solcher Antikörper am Krankheitsgeschehen wurde inzwischen für zahlreiche Erkankungen nachgewiesen, z. B. Reizdarm und chronischer Durchfall, Migräne und Kopfschmerzen, Autoimmunerkrankungen, Übergewicht, psychische Störungen, Asthma, allergische Hauterkrankungen, allergische Rhinitis sowie ankylosierende Spondylitis. Quellen Berrington de Gonzalez, A. et al. Body-Mass Index and Mortality among 1.46 Million White Adults. New England Journal of Medicine 363, 2211–2219 (2010). Dandona, P., Aljada, A., Chaudhuri, A., Mohanty, P. & Garg, R. Metabolic syndrome: A comprehensive perspective based on interactions between obesity, diabetes, and inflammation. Circulation 111, 1448–1454 (2005). Exley, M. A., Hand, L., O’Shea, D. & Lynch, L. Interplay between the immune system and adipose tissue in obesity. Journal of Endocrinology 223, R41–R48 (2014). Lauby-Secretan, B. et al. Body Fatness and Cancer — Viewpoint of the IARC Working Group. New England…